Die Kraft der Wut

Kennst du die Kraft der Wut? Ich mein nicht den Ärger über den Zug, der dir vor der Nase weggefahren ist. Ich meine die blanke Wut, die starken Emotionen, die in tosenden Sturmwellen über dir zusammenstürzen. Das Leben hat mir ein Häppchen Lernstoff vor die Füsse geworfen, das mich zwang, mich in die Wogen der Wut hineinfallen zu lassen. Die Intensität an Kontrollverlust, Ohnmacht und Wildheit, die mit der Wut einhergehen, ist nahezu berauschend, wenn man den Mut aufbringen kann, sich voll und ganz diesen Gefühlen hinzugeben. Diesmal ist es mir recht gut gelungen und ich möchte meine Reise mit euch teilen.

Viele Leute erleben Wut als negative Energie, weil sie an Aggression und Gewalt gekoppelt ist.  Mich persönlich manövriert die Wut eher in neue Richtungen. Sie ist sozusagen ein Katapult, das mich vorwärts schleudert, Energien freisetzt und ungeahnte Kräfte generiert. Dank dieser Wut habe ich am 24. Februar 2021 meinen ersten Blog-Artikel veröffentlicht, einen Instagram-Account und eine Facebook-Business-Seite eröffnet.

Seither spiele ich mit diesen Medien wie ein kleines Kind, das ausprobiert, scheitert, wieder versucht und sich freut, wenn es plötzlich klappt. Mit der Kraft eines Wildschweins, das sich durch die Erde pflügt, habe ich mich durch den Dschungel der neuen Welt gewühlt und ich bin sicher, ohne Wut im Bauch hätte ich das niemals geschafft. Dabei ist mir eines bewusst geworden: «Die heile Welt der Harmonie treibt uns nicht vorwärts – erst wenn wir die Komfortzone verlassen, verlassen müssen, kommt Dynamik in den allzu bequemen Alltag».

Mut zur Wut

Nun bin ich eine Bloggerin. Dank der Wut. Dank der Auslöser-Situation. Und ich kann dir nur empfehlen, beim nächsten Aufwallen der Wut ebenfalls deine Kraft zu bündeln und die powervolle Energie für deine Projekte zu nutzen. Altes loslassen und vorwärts gehen. Die Wut ist die wohl unkontrollierbarste, destruktivste und energievollste Stimmung, welche ein Mensch in sich selber hervorrufen kann. Ich nehme an, Du kennst die Emotion der Wut. Sie vibriert, bebt, kocht, erhitzt sich, zittert und wogt. Kinder werfen sich auf dem Boden und toben mit rot erhitztem Gesicht. Wir Erwachsenen halten die Emotion besser unter Kontrolle, machen gute Miene zum bösen Spiel und versuchen vernünftig zu bleiben.

Vernünftig! Geht das überhaupt im Zusammenhang mit Wut? Stell dir vor, du wärst in einer Situation, die dich zur Heissglut treibt. Kann man bei dieser Welle an Kraft, die durch den Körper donnert, wirklich vernünftig bleiben?

Wie du mit der Wut umgehen kannst

Man kann durchatmen, ja, oder das Gefühl benennen, wie es im Buddhismus gelehrt wird. In der Achtsamkeitsmeditation sagt man sich zum Beispiel: «Aha, da ist Wut, es ist ok, dass du da bist». Geh nicht in Gedanken zur Situation zurück, die dich so rasend gemacht hat. Sie gehört bereits der Vergangenheit an und ist nicht mehr beeinflussbar. Nein, du bleibst bei der Emotion und sagst dir: Ok, ich fühle Wut. Ich fühle verdammt viel Wut! Ich fluche, schlage um mich, muss mich bewegen, stampfen, mit der Faust auf den Tisch schlagen, Schreien. Egal.

Das alles ist wichtig, aber du musst allein sein. Du fühlst die Wut in dir. Es ist deine Wut. Jemand oder etwas hat sie vielleicht in dir ausgelöst, aber es ist DEINE Emotion.  Wenn du an der Auslöser Situation hängen bleibst, verharrst du im Kampf und dem Gefühl der Ohnmacht. Das führt eher dazu, dass man sich als Opfer sieht, im Selbstmitleid suhlt oder aggressiv wird. Dieser Weg ist destruktiv und führt nur zu Verletzungen. Vor allem sich selber gegenüber.

Die rohe Kraft der Wut kann man nutzen, um sich selbständig zu machen. Man kann sie nutzen, um Zelte abzubrechen und eine Reise anzutreten. Die Kraft der Wut hilft, Entscheidungen zu treffen, die schon lange angestanden sind und Wege zu gehen, für die bisher der Mut gefehlt hat. Vielleicht sollten wir uns alle vermehrt vorwärts schleudern lassen, wenn die Wut aufkommt, statt zu bleiben, auszuhalten und sich zu sagen, dass es auch schlimmer sein könnte.

Viele Krankheiten entstehen genau aus dieser strengen Lebenshaltung sich selber gegenüber. Aus dem Verharren im Alten, dem über-sich-ergehen-lassen von Ungerechtigkeit, Macht und vielleicht sogar Gewalt. Rheuma zum Beispiel, hängt häufig mit angestauter Wut zusammen, die viele Jahre lang nie ausbrechen konnte. Auch Leber- und Gallenerkrankungen, Migräne oder Magengeschwüre haben oft einen Zusammenhang mit der Wut, dem Feuerelement und dessen Auswirkungen auf den Körper.

Die Kraft der Vergebung

In diesen Wochen habe ich auch gemerkt, dass ich gar nicht lange im Gefühl der Wut bleiben konnte. Es ist manchmal aufgeflackert, wenn der Trigger wieder aktiviert war, die Auslöser Situation. Es war aber auch eine gute Lebensschule, trotz der Wut ganz sachlich zu bleiben, mich trotz der Wut mit meinen Freundinnen auszutauschen und ihnen meine Trauer auszudrücken. Nicht über die Situation lästern, sondern einfach zugeben, dass es verletzend ist. Es tut dem Herz und der Seele gut, wenn wir hinhören, was die Emotion uns zu sagen hat. Nur so können wir erkennen, dass unter dieser rohen Wut etwas Verletzliches, Trauriges und Weiches zum Vorschein kommt.

Die tiefe Trauer darüber, dass nichts mehr so ist wie es war. Die Erkenntnis, dass man sich nur auf sich selber verlassen kann. Die Ohnmacht der Fremdbestimmung und irgendwann die Einsicht, dass es trotzdem weitergeht. Das Leben bietet uns immer wieder Situationen, an denen wir seelisch wachsen können. Mal gehören wir zu den Verlierern, mal zu den Gewinnern – man kann nicht immer gewinnen, aber das Spiel des Lebens ist und bleibt mein Lieblingsspiel. 

Die Originalversion dieses Artikels ist in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift «Natürlich» erschienen.

2 Gedanken zu „Die Kraft der Wut

  1. Anonym Antworten

    Guten Tag Frau Hurni
    Ich dachte ein Blog sei so ein offenes Rede Portal mit Rede Antwort. Ich lerne auch immer wieder über digitales.
    Habe soeben den Bericht über die Wut gelesen. Sie beschreiben mit schönen Worten den Weg von der Emotion Wut, bis zur Türschwelle der Erkenntnis. Schmal ist der Weg der dahin führt und noch schmaler der Weg durch die Tür. Nur wenige vermögen ihn zu gehen.
    Die Wut führt einem bis zur Tür, ausser man ist ausser sich, sie bewegt einen quasi dahin. Die Türe aufmachen und den Schritt über die Schwelle, ist das grösste Abenteuer, mit den grössten Anstrengungen eines Menschenlebens.
    Die Wut sollte zur Erkenntnis führen=Erlösung, und diese zur Tat=Heiligung des Lebens. Alles andere ist verpuffte Energie. Einen Spalt weit öffnen, würde ich den Leuten nicht raten, denn unerlöste Wut kann sich kummulieren und ungeahnte, schreckliche Taten zur Folge haben.

    Freundliche Grüsse, D.M.

    • Sabine Miryam Hurni Autor des BeitragesAntworten

      Vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Ja, je mehr Mut ein Mensch aufbringen kann, diese Tür weit zu öffnen, desto schneller ist er am Kern der Wut angelangt…wenn das nur so einfach wäre, wie es sich daher schreiben lässt!

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