Der Teich und Hans –
Eine Geschichte über die kleinen Dinge des Lebens.
Wie jeden Tag sass Hans mit seinem Hund Bruno im Stadtpark und betrachtete den Teich. Er schaute auf die Oberfläche des Wassers, die sich sanft kräuselte, sobald ein Blatt vom Baum ins Wasser fiel oder der Wind sich kurz bemerkbar machte.
Hans liebte diesen Teich. Nie zeigte er sich in demselben Kleid. Es war nie dieselbe Struktur, nie dieselbe Farbe und doch war es dasselbe Wasser und dieselbe Luft. Ab und zu schwamm gemächlich eine Ente über das Wasser, manchmal setzte sich eine Amsel auf einen Stein am Teichufer. Ansonsten passierte am Teich wenig. Genau dieses Wenige, immer Gleiche, faszinierte Hans. So unspektakulär sein Teich auch anmutete, so magisch und kraftvoll war er für ihn. Es war, als würde er beim Betrachten des Teiches sich selbst sehen. Als wäre dort ein Spiegel, der nicht sein Ebenbild zeigte, sondern einen inneren Zustand in ihm spiegelte. Schliesslich bestand auch er aus Wasser, nicht wenig sogar.
Heute jedoch war alles anders. Heute war aus dem Teich ein See geworden. Die starken Regenfälle der vergangenen Nacht hatten das Erscheinungsbild des Teiches komplett verändert. Das Wasser quoll über und breitete sich aus. Es schwappte über das Ufer und endete dort, wo Hans’ Füsse begonnen. Hans spürte, wie seine Füsse feucht wurden, während er auf seinem Platz sass und auf das viele Wasser starrte. Er hasste Veränderungen. Warum nur kann sein Teich nicht auch bei Starkregen sein Teich sein? So wie immer?
Heute wollte sich keine Ruhe einstellen. Ständig kamen Leute, mit Schirm, Regenmantel und Handy. Sie blieben stehen, machten ein Bild und hetzten weiter. Plötzlich schien sein Teich das Interesse der ganzen Menschheit zu wecken, die ihn an anderen Tagen nicht mit einem einzigen Blick würdigten. Hans fand das unwürdig.
«Wenn Flüsse und Seen über die Ufer treten, so spiegelt dies vielleicht das ausufernde, überbordende Leben der Menschen!», dachte sich Hans.
Und er erklärte seinem Hund Bruno: «Ein kleiner, ruhiger Teich ist auf den ersten Blick vielleicht langweilig. Beim näheren Betrachten und beim sich einlassen auf diese Stille entdeckt man jedoch immer neue Phänomene des vermeintlich ruhigen Wassers».
Viele Menschen hielten kurz inne, wenn sie am Teich vorübergingen. Sie sahen jedoch nur den überquellenden Teich, der weit über seine Grenzen hinweg immer grösser, breiter und imposanter wurde. Er hatte sich über Nacht in einen See verwandelt und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm plötzlich zuteil wurde. Hans, der ruhig auf der Bank sass, mit den Füssen im Wasser, beachtete niemand.
Hans dachte traurig an seinen Teich, wie er ihn gestern, vorgestern und vor einer Woche angetroffen hatte. Die Spiegelungen der Wolken im Wasser, die sanften Wellen, die langen Streifen, die sich durch eine unsichtbare Strömung ergaben. Das Blatt, das so vollkommen trocken blieb, während es auf der Wasseroberfläche schwebte und die Ente, die so unaufgeregt und schwerelos über das Wasser glitt, ohne die Oberfläche unnötig aufzuwirbeln. Selbst wenn das Wasser manchmal trüb war, empfand er es stets als rein und klar.
Jedes Mal, wenn er nach seinem Besuch den Teich verabschiedete, von seiner Bank aufstand und mit seinem Hund Bruno von dannen zog, fühlte er sich glücklich. Er hatte das Gefühl, dass das Wasser in seinen Millionen und Milliarden Körperzellen ruhiger geworden sei und seine Welt der Gedanken zu einer spiegelglatten Oberfläche geworden waren. Mehr noch: Seine Seele hatte sich an diesem kleinen Teich einen Moment der Leere gegönnt, in der sie mit nichts und allem verwunden war.
Es wird bald wieder so sein, dachte er sich. Das Regenwasser wird versickern. Wenn sein Teich wieder klein und ruhig geworden war, wird ihn niemand mehr wahrnehmen. Hans seufzte: «Eigentlich schade. Ich würde ihn gerne mit jemandem teilen».
Ach Hans…
Auch ich hätte gerne ein wenig vom Bekannten zurück. Etwas auf das ich mich scheinbar verlassen kann nach all den Aufregungen, Neuerungen und Ungewissheiten. Gleichzeitig mag ich es, dass der Teich ausufert, das gewohnte verlässt, neues Terrain erkundet.
Ich freue mich schon auf die nächste Geschichte.
Liebe Grüsse
Angela
Wie dankbar bin ich dir für deine Zeilen! Wir Menschen befinden uns doch ständig in diesem Spannungsfeld von Wunsch nach Neuem und Bedürfnis nach Vertrautem. Irgendwo dazwischen liegt wohl die goldene Mitte…
Hans hat da offenbar eine Innere Kraft-Quelle gefunden…! Für mich spiegelt Wasser auch unsere Gefühlswelt. Es scheint als würde der Teich viel für uns auffangen… Danke für das Teilen der Geschichte. Freue mich auf mehr…
Ja, auch für mich spiegelt Wasser die Gefühlswelt oder das Unterbewusstsein. Vielleicht haben wir im Moment einen guten Zugang zur Intuition und unseren Gefühlen – bei dieser Wasserflut, die um uns herum die Flüsse füllt!
Sicherlich wird Hans beschenkt von seiner eigenen Tiefe, nach der Innenschau. Dem Mut durch Schlamm und Morast zu tauchen. Ich wünsche ihm, dass er die große Verbindung mit allem und jedem nach der Trauer wieder verspüren kann. Für uns ist aktuell die Feinstoffliche Welt auch besser wahrzunehmen. Ja vielleicht Dank dem Element Wasser. Der Schaden, welcher angerichtet wurde ist noch nicht klar ersichtlich. Der Ruf der Innenschau weiter zu befolgen ist für mich eine gute Lösung.
Danke Sabine für den Gedankenfaden, welchen ich gerne weiterspinne. Freu mich auf mehr
Innenschau. Ein schöner Gedanke! Wir blicken aufs Wasser und gleichzeitig nach innen. Ja, bald werden auch unsere Flüsse und Seen wieder zu spiegelglatten Lebenslehrern – bis dahin müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass auch Fülle grossen Schaden anrichten kann.
Interessant, diese Geschichte, Hans könnte mein Mann sein, er trägt sogar den selben Namen. Hund haben wir aber keinen.
Veränderungen können durchaus positiv sein, in einem Teich im Wald in unserer Nähe, sind nach der Überschwemmung Seerosen aufgetaucht. Wunderschön!
Wandel ist immer mit Veränderungen verbunden. Umso schöner, wenn das Neue zu blühen beginnt oder Früchte trägt!
….hans sitzt auf seiner Lebensschaukel, wo? In der Mitte – da ist Balance möglich. Ganz rechts oder ganz links, da kippt die Schaukel ins Wasser, welches sich bewegen lässt um dann wieder ruhig dazuliegen. Was nun? Ruhig, konzentriert die Mitte suchen, finden. Innehalten, lächeln – weitergehen.
Die Lebensschaukel. Ein Schönes Wortbild! Ständig sind wir am ausbalancieren. Mit jedem Schritt zur einen oder anderen Seite immer wieder von Neuem.